OSKAR MAHLER – KÜNSTLER UND CHRONIST

"Ich brauche einfach diese urbane Struktur, um mich wohl zu fühlen."

Ich befinde mich in der Kaiserpassage im Bahnhofsviertel. Was vor ein paar Jahren noch als dunkler und verwinkelter Durchgang zwischen Kaiser- und Taunusstraße galt und Drogendealern die Möglichkeit bot, ungestört ihre Geschäfte zu verrichten, ist jetzt eine helle und moderne Einkaufspassage.

Neben einem Supermarkt, einem Laden mit orientalischen Lebensmitteln und einem Geschäft für indisch-pakistanische Kleidung, befindet sich auch die „Rote Treppe“ in der Kaiserpassage.

Als ich bei der „Roten Treppe“ ankomme, hängt eine Notiz mit der Botschaft „Bin unterwegs im Bahnhofsviertel “ an der Ladentür. Trotzdem ist die Tür geöffnet und ich kann hineingehen. Doch wo genau befinde ich mich hier eigentlich? In einem Laden? Einem Büro? Oder doch in einer Galerie?
„Eine Art Stadtteilbüro und Zukunftslabor“ ist die Antwort von Gründer und Besitzer Oskar Mahler.

Mahler ist unermüdlich und stets engagiert, wenn es um das Viertel geht.
Der selbst ernannte „Stadtteilbildhauer“ lebt und liebt „sein“ Bahnhofsviertel und sprudelt ständig vor neuen Ideen, um es noch attraktiver zu machen.

Der 67-Jährige wurde aber nicht in Frankfurt geboren, sondern in der bayrischen Stadt Straubing. Dort hat er sich allerdings nie wirklich heimisch gefühlt. Mahler interessierte sich schon früh für die Kunst und das Malen. Im Kindergarten geriet er mit der betreuenden Schwester aneinander, weil er ein Bild von Gott gemalt hatte. Sein erstes Bild verkaufte er bereits im jungen Alter von acht Jahren.

Oskar Mahler bedeckt seine wenigen grauen Haare gerne mit einer Strickmütze in einer dunklen Farbe. Generell ist er eher dunkel und unauffällig gekleidet. Bloß sein Claddagh-Ring an seinem Finger sticht heraus. Der silberne Ring zeigt zwei Hände, die ein Herz mit einer Krone halten, was der Legende nach Liebe, Vertrauen und Loyalität symbolisieren soll.

Mahlers Gesicht ist von Falten geprägt, sie erzählen von einem ereignisreichen Leben. Wenn Mahler lacht, dann lacht er laut und aus vollem Herzen. In das Bahnhofsviertel ist der Mann mit der hageren Statur durch einen reinen Zufall gekommen: „Ich habe die zweitgrößte Hammersammlung in Deutschland und wollte daraus ein Museum machen, eigentlich in Nordirland. Dann hat meine Nachbarin mir einen Ausschnitt von der FAZ an die Tür gehängt, dass ein Schuhmacher im Bahnhofsviertel einen Künstler sucht, der ein besonderes Projekt macht.“ Schnell war der Schuhmacher begeistert und Oskar Mahler eröffnete 2005 sein Hammer-Museum.

Hämmer sammeln? Was für viele nach einer skurrilen Sammelleidenschaft klingen mag, hat sich für Mahler aus pragmatischen Gründen ergeben. Durch seinen Beruf als Bildhauer hatte er viele nicht mehr genutzte Hämmer in seinem Atelier, die er aber auch nicht einfach wegschmeißen wollte.  Außerdem sei der Hammer ein besonderer Gegenstand und als Beginn des Handwerks zu verstehen.

Inzwischen, nach 14 Jahren, musste das Museum aus gebäudetechnischen Gründen geschlossen werden: „Die Sammlung war zu schwer, die Zwischenetage drohte runter zu krachen. Ich musste mir etwas anderes für meine Hämmer überlegen.“

Mahler wirkt aber nicht etwa traurig, wenn er von seiner ehemaligen Ausstellung berichtet, sondern stolz: „Das Hammer-Museum hat mich dem Bahnhofsviertel nähergebracht, wenn ich kein begeisterter Hammersammler gewesen wäre, hätte ich nicht all die Menschen getroffen und all die Informationen erhalten.“ Mit der Zeit fing Mahler nämlich nicht nur an, Hämmer zu sammeln, sondern auch Daten und Fakten zum Bahnhofsviertel. Er erstellte die Website „frankfurt-bahnhofsviertel.de“ und ließ dort eine Chronik entstehen, die bis 1283 zurückgeht. Noch weit vor der Entstehung des Bahnhofviertels. „Nie zuvor, gab es eine so ausführliche Chronik des Stadtteils. Hier bedienen sich alle, die Presse, die Studenten, die Politiker und das sollen sie auch!“ betont er stolz.

Auf der Website von Oskar Mahler fällt einem direkt der Untertitel „Der Stadtteil, der Frankfurt zur Metropole macht“ ins Auge. Ein Satz, den Mahler auch im Interview immer wieder betont: „Das Bahnhofsviertel ist der ausschlaggebende Faktor, der Frankfurt zur Metropole macht. Alle anderen Stadtteile sind, meiner Meinung nach, im Vergleich nur beschauliche Dörfer“.

Als auschlaggebenden Grund dafür sieht Mahler die große Hoteldichte: „Wir sind der Raum für Gäste, wir haben hier dreimal so viele Gäste wie Anwohner an einem Tag. Das macht metropoles Leben aus. Es reisen ständig Menschen ab und an, diese Bewegung, dieses Pulsieren.“

Das metropole Leben ist auch genau das, was Mahler so am Bahnhofsviertel schätzt: „Ich bin ein Metropolen-Mensch, ich habe in Paris und London gelebt und in San Francisco studiert. Ich brauche einfach diese urbane Struktur, um mich wohl zu fühlen. Wir haben die Bewohnerstruktur mal untersucht – Die eine Hälfte der Bahnhofsviertel-Bewohner ist stabil, die andere Hälfte tauscht sich innerhalb von vier Jahren immer wieder aus und genau das macht es eben bunt – hier begegnest du der ganzen Welt.“

Dass man im Bahnhofsviertel aber nicht nur auf kulturelle und künstlerische Menschen und Dinge trifft, sondern auch auf gesellschaftliche Problemgruppen wie dem Rotlichtmilieu oder Drogenkranke, sieht Oskar Mahler „nicht so schwarz-weiß“. Der offensichtliche Umgang mit Sex und Drogen sei ein absolutes Metropolen-Merkmal.

Nach seiner jahrelangen Tätigkeit in der Frankfurter Bahnhofsmission ist Mahler inzwischen im Nachtcafé tätig, eine soziale Einrichtung, die Drogenkranken einen Rückzugsort bietet: „Drogensucht bedeutet für die Betroffenen viel Hektik und Stress. Im Nachtcafé können die mal zur Ruhe kommen und werden mit Essen versorgt. Vor lauter Sucht vergessen die meisten zu essen und sind dementsprechend abgemagert.“

Für die Arbeit im Nachtcafé ist der 67-Jährige sehr dankbar: „Es war mir sehr wichtig, nicht immer nur über die Süchtigen zu reden und sie als Problem zu begreifen und so zu tun, als hätte man mit dieser Problemgruppe nichts zu tun. Ich kenne die Drogenkranken mittlerweile, die sind mir ans Herz gewachsen. Es ist eine schwierige Arbeit, ein Knochenjob, aber es war mir einfach wichtig, der Gesellschaft etwas zurückzugeben – außerdem wird der Job gut bezahlt.“

Mahlers neustes Projekt ist die „Rote Treppe“, in der wir uns gerade befinden. Namensgebend ist eine rot gestrichene Treppe die den Raum durchkreuzt: Ich sammle hier Informationen und habe hier das Archiv, mache hier die Website und es entstehen neue Ideen.“
In dem „Stadtteilbüro“ ist auch ein Rest von Mahler Hammersammlung zu bewundern. Wo genau das Projekt „Rote Treppe“ hingehen wird und wie lange es noch bestehen wird, ist unklar: „Klar ist, dass ich hier meine 2005 begonnene Forschungsarbeit abschließen werde, bevor ich Frankfurt verlasse.“

Frankfurt verlassen? Das Bahnhofsviertel verlassen? „Ja, in drei Jahren werde ich siebzig, dann ziehe ich nach Sardinien und werde Pferde züchten.“

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©Bilder/ Benjamin Kilb/ Annabelle Strecker

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