"Was da auf der Straße los ist,
ist eigentlich nur noch
ein Amüsierviertel
für Junkies und Durchgedrehte. Wegen denen kommen kaum noch Freier her."
Der Rotlichtbezirk des Frankfurter Bahnhofviertels zieht sich vor allem durch die Elbe-, Mosel- und Taunusstraße. Hier gibt es zwischen Imbissbuden, Kiosken und Druckräumen eine Reihe von Sexshops, Bordellen und Animierbars.
So auch das „My Way“ in der Taunusstraße 26, welches eine Animierbar darstellt. Im selben Gebäude befindet sich, das Laufhaus „Eroscenter26“. Zwischen einer Stehpizzeria und einer Spielothek erscheint auf einer Leuchttafel das Wort „GIRLS“ in roten Buchstaben, gefolgt von einem Pfeil der nach rechts, Richtung Eingang, zeigt. Daneben ist ein Schild zu finden, auf dem in unterschiedlichen Sprachen steht: „Zimmer mit Dusche, WC, TV und Kühlschrank – 24 Stunden geöffnet – ab 90 Euro“.
Zurzeit ist das Haus gut belegt, erzählt mir Richard Böhlig, der Betreiber der beiden Etablissments, den ich in der Animierbar treffe. In diese darf jeder rein, auch Frauen.
Die Wände sind dunkelrot gestrichen und behängt mit Schwarz-Weiß Fotografien von männlichen Schauspielern wie James Dean oder Sean Connery. In der Ecke stehen zwei Spielautomaten, an denen gerade zwei junge Männer ihr Glück herausfordern.
Auf dem Fernseher an der Wand läuft ein Tennismatch in einem Sportkanal.
Durch die Boxen ertönen die Zeilen „Gib mir Tilidin, ja, ich könnte was gebrauchen. Wodka-E, um die Sorgen zu ersaufen. Alles, was ich weiß: Liebe kann man sich nicht kaufen“ vom Deutschrap-Duo Capital Bra und Samra.
Doch gerade das Geschäft mit der käuflichen Liebe, zumindest der körperlichen Liebe, ist das Geschäft von Böhlig. Der 55-Jährige wurde in Frankfurt geboren und ist in Kronberg im Vorder-Taunus aufgewachsen. Schon als Kind und Jugendlicher hat ihn das Motorradfahren angezogen: „Mit 15 habe ich angefangen, Mofa zu fahren, da waren wir schon eine Clique, die sich selbst Westen gebastelt hat und dann damit rumgefahren ist.“
1984, mit 19 Jahren, ist Böhlig dann einem großen Motorrad-Club beigetreten, den „Bones“, die 15 Jahre später durch einen weltweiten bekannten Club, den „Hells Angels“, übernommen wurden. Mit dem Beitritt in die Clubs kam auch die Berührung mit dem Rotlichtviertel: „Das hat mich hier irgendwie fasziniert und ich bin hängen geblieben.“
Seinen erlernten Beruf als Gas- und Wasser-Installateur hat Böhlig aufgegeben, um zunächst von 1990 bis 2000 in der Elbestraße 55 als Security in einem Laufhaus zu arbeiten. Es folgten ein Sauna-Club in Hanau und die Eröffnung des Erotik Islands in Marburg, bis Böhlig 2008 zusammen mit einem Partner das „Eroscenter26“ kaufte: „Das war schon vorher ein Laufhaus, aber es war total runtergekommen. Als wir es übernommen haben, haben hier gerade einmal fünf Frauen gewohnt und man braucht ungefähr 18 Frauen, um kein Verlustgeschäft zu machen“, erklärt mir der große, dunkelgekleidete Mann mit den wenigen Haaren und der Brille mit hellblau getönten Gläsern.
Böhlig verdient sein Geld aber nicht anteilig mit den Dienstleistungen, welche die Prostituierten ausüben, sondern über die fälligen Mieten für sein Haus: „Wir nehmen 140 Euro für 24 Stunden in einem Zimmer, davon sind 15 Euro Steuern, die direkt an das Finanzamt gehen.“
Was in den vermieteten Zimmern hinter geschlossenen Türen passiert, ist privat und interessiert Böhlig nicht weiter, solange die Miete stimmt und täglich gezahlt wird.
„Die Geschäfte laufen wesentlich schlechter und werden auch deutlich schlechter, wegen diesem Drogentourismus, der hier in Frankfurt herrscht. Was da auf der Straße los ist, ist eigentlich nur noch ein Amüsierviertel für Junkies und Durchgedrehte. Wegen denen kommen kaum noch Freier her. Viele Häuser bewegen sich am Existenzminimum“, sagt Böhlig verärgert.
Die Drogenszene ist ihm schon länger ein Dorn im Auge: „Früher waren die ja alle in der Taunusanlage und haben da auf den Wiesen rumgelegen und eigentlich niemanden gestört. Doch die Banken drumherum wollten das nicht und hatten genug Macht, das durchzusetzen, dass die jetzt hier im Bahnhofsviertel sind. Frankfurter Weg nennt man das ja, doch der Frankfurter Weg ist ein bisschen vom Weg abgekommen, würde ich sagen.“
Im Sommer 2017 ist das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten. Es soll den Sexarbeiterinnen einen besseren Schutz bieten und die Kriminalität im Rotlicht eindämmen zusammen mit der Kondompflicht wurde auch die Anmeldebescheinigung der Frauen, der sogenannte „Hurenpass“, inklusive einer gesundheitlichen Beratung eingeführt.
„Dieses Gesetz ist eine totale Diskriminierung gegenüber den Frauen. Die Frauen müssen jetzt eine Gesundheitsberatung machen, wo sie teilweise bis zu zehn Tage auf einen Termin warten müssen. Außerdem dürfen die Frauen nicht mehr in ihren Häusern schlafen, das heißt, die haben zusätzliche Kosten und geschützt sind die da draußen auf den Straßen schon mal gar nicht.“
Ich lerne Bora kennen. Er ist der Mann, der für die Sicherheit im „Eroscenter26“ zuständig ist. Boras Arbeitsplatz ist ein kleiner Raum, der einem Büro gleicht. An den Wänden befinden sich Regale mit Aktenordnern, daneben steht ein Kühlschrank mit sämtlichen alkoholfreien Getränken. Vor Bora, einem Mann mit türkischen Wurzeln, befinden sich acht Bildschirme, die zeigen, was sich auf den Fluren des Laufhauses abspielt. Die Zimmer selbst sind nicht videoüberwacht, dafür aber mit einem Telefon und einem Alarmknopf ausgestattet.
„Bei einem leichten Problem rufen die Frauen an, bei einem extremeren Problem drücken Sie den Knopf. Das kommt aber nicht so oft vor. Meistens geht es um Meinungsverschiedenheiten, beispielsweise weil der Mann zu früh gekommen ist. Hier gibt es schon mal Kandidaten, die denken, für 30-40 Euro könnten sie eine ganze Hochzeitsnacht bekommen.“
Vom schicken Bankier bis zum Jugendlichen in Jogginghosen sind sämtliche Männer über die Bildschirme zu beobachten: „Nach außen hin will niemand etwas damit zu tun haben, aber fast alle gehen rein“, wirft Richard Böhlig ein.
Die meisten Frauen die im „Eroscenter26“ arbeiten, kommen aus armen Gegenden in Ost- und Südosteuropa. So auch Gabi, die vor zehn Jahren aus Bulgarien nach Frankfurt kam, um gezielt als Prostituierte zu arbeiten: „Ich habe sehr jung ein Kind bekommen und wollte in meiner Heimat ein Haus für sie kaufen.“ Als Gabi das erste Mal nach Deutschland kam, gehörte Bulgarien noch nicht zur Europäischen Union, sie durfte hier eigentlich nicht arbeiten. Nach einer Razzia flog sie auf und verließ das Haus und Deutschland. Fünf Jahre später trat Bulgarien der EU bei und Gabi kehrte zurück ins Eroscenter26.
Gabi trägt einen bodenlangen schwarzen Mantel, der ihren Körper, nur in Dessous gekleidet, komplett bedeckt. Ihre schwarzen Haare trägt sie unter einem Hut. Sie ist gebräunt und hat auffällig volle Lippen, eine durchaus attraktive Frau, man sieht ihr nicht unbedingt an, dass sie auf die 40 zugeht.
Ihren Plan, ein Haus zu kaufen, konnte Gabi bereits nach zwei Jahren umsetzen, trotzdem ist sie geblieben: „Meine Tochter ist jetzt auch hier in Deutschland und geht zur Schule. Wir wohnen zusammen.“
Der Rest ihrer Familie weiß nicht über die Tätigkeit Bescheid, die Gabi tagtäglich ausübt. Wenn sie einmal Zuhause war, hat sie sich Jobs ausgedacht oder erzählt sie hätte einen reichen Freund in Deutschland. „Ich glaube, die haben aber schon immer geahnt, was ich hier mache. Viele Leute kommen von Bulgarien nach Frankfurt, um als Prostituierte zu arbeiten – das ist normal“, sagt sie nachdenklich.
Gabi war 13 Jahre alt, als ihre Mutter starb. Mit diesem Tag trug sie als älteste Tochter die Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister: „Ich habe das geschafft, dass mein Bruder und meine Schwester sehr hoch studieren“, sagt sie stolz.
Etwas, was sie mit einem anderen Job, einer „normalen Tätigkeit“, vielleicht nicht so schnell geschafft hätte wie mit der Prostitution. „Es ist ein schwerer Job, vor allem am Anfang ist es sehr schwer – aber irgendwann gewöhnst du dich daran und du gewöhnst dich auch an das Geld. Es gibt keinen normalen Job, den ich machen könnte und mit dem ich das gleiche verdienen würde.“
Die 37-Jährige verlangt für eine halbe Stunde Sex 100 Euro, ein großer Unterschied zu den 25 bis 30 Euro, die das Bordell als Mindestpreis vorschreibt.
„Du musst immer etwas Geld sparen, manchmal verdienst du sehr gut in einer Woche und manchmal verdienst du zwei, drei Wochen lang fast gar nichts. Das weißt du nie, das kannst du auch nicht abschätzen. Viele kommen auch nur hier rein, um zu gucken.“
Es gibt wenige Frauen, die noch als Prostituierte arbeiten, nachdem sie 40 sind. Das weiß auch Gabi und hat sich Gedanken darüber gemacht: „Es muss wieder etwas Selbstständiges sein. Ich überlege dann, ein Nagelstudio zu machen – das ist wie hier: Du hast am Tag deine fünf Kunden, machst denen die Nägel für 100 Euro, dann hast du am Ende des Tages 500 Euro. Das reicht.“
©Bilder: Ann-Katrin Weiss, Niklas Diemer, Ulrich Mattner